Fresken Der Schatz in der Kirche

Manchmal sind es die eher kleinen, unauffälligen Bauwerke, die Menschen in ihren Bann ziehen. Was auch auf zahlreiche Bauwerke zutrifft, die uns das Mittelalter hinterlassen hat. Und so manches Kleinod, das von außen rauh und einfach wirkt, birgt im Inneren einen vollendeten Zauber. Die Eigenkirche des Mindener Bischofs Sigward (1120-1140) im Wunstorfer Ortsteil Idensen in der Nähe des Steinhuder Meeres (Niedersachsen) ist ein solches Kleinod. Erbaut im 12. Jh., zu einer Zeit, in der die Staufer die Macht von den Saliern übernahmen, zieht die kleine Kirche zumindest zwei Menschen immer wieder an.

Vor zwei Jahren trafen sie sich zufällig in der Sigwardskirche. Mit uns wandeln der Idenser Heimatforscher Hans-Jürgen Günther und der pensionierte hannoversche Neurochirurg Wolfhard Winkelmüller erneut gemeinsam durch die vermutliche Grabkirche des Bischofs. „Er hatte damals so viel zur Kirche gefragt, dass ich ihn doch glatt für einen Journalisten hielt“, erinnert sich Günther. Winkelmüller forschte damals für seinen historischen Erstlingsroman. „Zwischen Kreuz und Schwert“ beschreibt das bewegte Leben in der niedersächsischen Seeprovinz vor achthundert Jahren.

1971 kam der gebürtige Emdener nach Hannover. Den Kulturmenschen Winkelmüller lockte es seither immer wieder auf Touren rund um das Steinhuder Meer. Immer enger zog er seine Kreise, bis er eines Tages mit offenen Mund in der Sigwardskirche stand. „Ich war sofort von ihr fasziniert“, gesteht er.

1992 begann er die zur Kirche gehörige Geschichte näher zu erforschen. Eine Frage vor allem beschäftigte ihn: „Wie kam Bischof Sigward dazu, sich eine solch prächtige Kirche in eine so sumpfige Gegend zu bauen?” Und Heimatforscher Günther sucht seit Jahren nach Beweisen, die für seine Theorie sprechen, dass diese Kirche tatsächlich das Grab des Bischofs beherbergte. Eine solche Anlage wurde bislang nie gefunden. Als sicher gilt, dass ein Wohnturm unmittelbar an die Kirche gebaut war. Die einzige Spur, die dieser Turm hinterließ, ist ein zugemauerter Durchgang in der nördlichen Mauer.

Zwischen 1129 (erste urkundliche Erwähnung) und 1134 wurde die romanische Kirche gebaut. Sigward weihte sie der Heiligen Ursula und ihren 11.000 Jungfrauen. „Ursula starb in Köln den Märtyrertod durch die Hunnen, und unsere Gegend gehörte im 12. Jh. zum Erzbistum Köln”, erklärt Günther. Seit Jahren führt er die Besucher durch Kirche, die der Volksmund nach dessen Gründer umtaufte.

Der aus sorgfältig behauenen Quadern gefügte und vollständig gewölbte Bau gehört zu den bedeutendsten Gebäuden der deutschen Romanik. Nach mehreren Um- und Anbauten im 16., 17 und 18 Jh. ist die Kirche heute fast im Urzustand zu bewundern. „Das ist äußerst selten für solche Bauten”, meint Günther. Im Turm hängt noch immer die Glocke aus der Gründungszeit – sie sei die älteste in ganz Niedersachsen, sagt er.

Um 1890 entdeckte C. W. Hase, der die Kirche maßgeblich in den Urzustand zurückversetzte unter dem Putz (die Kirche wurde um 1560 evangelisch) einen wahren Schatz. Dessen Ausmaß wurde erst in den Jahren 1930-34 deutlich, als der Kirchenmaler A. Wildt die Wände vollständig untersuchte. Staunend legte er ein Monumentalbild nach dem anderen frei. Die Innenräume der Kirche wurden um 1130 komplett mit Bildern in so genannter Kalksecco-Technik bedeckt. Die Fresken zeigen Einflüsse einer kölnischen Werkstatt, sie weisen in Stil und Ikonographie auch französische und byzantinische Einflüsse auf.

Noch heute bieten sie – nach einer seit 2000 vorgenommen ersten Reinigung und Sicherung der Malereien – einen relativ frischen Anblick, trotz der an vielen Stellen abgeblätterten Farbe. Günther zeigt auf ein verwaschen wirkendes Fresko. „Diese Bildreste da zeigen die wahrscheinlich älteste europäische bildliche Darstellung des Turmbaus zu Babel.” Entlang der Nordseite ziehen sich Szene des Alten Testaments, gegenüber setzten die Künstler Bilder des neuen Testaments. Die Arche Noah, das Jüngste Gericht, eine apostolische Taube und natürlich das Martyrium der Ursula – all das findet sich in der kleinen stillen Kirche wieder. Zusammen ergeben die Bildzyklen eine einheitliche Farbgebung des Innenraums. Europaweit ist die Idenser Sigwardskirche damit ein äußerst seltenes erhaltenes Beispiel.

Vom Innenraum der Kirche führen ausgetretene Stufen in eine kleine Kammer. „Meditationsraum“ nennt Günther sie. Von hier aus führte einst ein Durchgang zum Wohnturm. Gegenüber befindet sich ein Vierpassfenster mit vier Ausbuchtungen. Dieses Fenster beherrscht den Raum. Und es birgt eine weitere Besonderheit der Kirche. Alle acht Jahre, sagt Günther, scheine die Sonne am 25. Dezember so durch dieses Fenster, dass an den Mauersteinen der gegenüberliegenden Wand ein Kreuz abgebildet werde. „2009 müsste es eigentlich wieder soweit sein”, schätzt er.

Die Stille dieses Raumes soll auch Sigward zur Einkehr benutzt haben, ist sich Winkelmüller sicher.„Wer bin ich?“, ist eine Frage, die sich Winkelmüllers Romanheld, ein fiktiver Ritter und Neffe des Bischofs, immer wieder stellt. Trost findet er oft im Anblick der Fresken. Fiktion, Mystik und historische Fakten verwob der Autor in seinem Buch.

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